Treasury Guide 2026: Liquidität freisetzen, Working Capital optimieren
Das "New Normal" für Treasurer
Die Welt der Unternehmensfinanzierung hat ihre alten Gewissheiten verloren. Stabile Zinsen, verlässliche Lieferketten und ein berechenbares geopolitisches Umfeld gehören der Vergangenheit an. Heute navigieren Treasurer und CFOs in einem Zustand der permanenten Ausnahmesituation – einer "Polykrise", die aus einer Mischung aus Inflation, Zinswende, geopolitischen Verwerfungen und fragilen globalen Lieferketten verbunden mit hohen Preisvolatilitäten besteht. Dieses "New Normal" ist keine vorübergehende Phase, sondern die neue Realität, die von Finanzabteilungen ein Umdenken erfordert. Einkaufsstrukturen ändern sich und damit auch die traditionellen Instrumente und Strategien des Finanzmanagements, die nicht mehr ausreichen, um die Resilienz des eigenen Unternehmens zu sichern.
In diesem anspruchsvollen Umfeld rücken zwei Disziplinen vom operativen Rand unaufhaltsam ins strategische Zentrum: das Liquiditäts- und das Working Capital Management (WCM) in der Lieferkette. Lange Zeit als separate, oft nur auf Kostenoptimierung ausgerichtete Funktionen von Finance und Einkauf betrachtet, verschmelzen sie nun unter einer einheitlichen strategischen Steuerung der Treasury-Abteilung. Die zentrale These dieses Beitrags lautet: Erfolgreiches Treasury der Zukunft begreift Working Capital nicht mehr nur als stetes Betriebsmittelmanagement, sondern als dynamischen Hebel zur Schaffung strategischer Resilienz und nachhaltiger Wertschöpfung. Der Fokus verschiebt sich von reiner Effizienz hin zu Flexibilität, Unabhängigkeit und Agilität.
Treasurer müssen sich im Jahr 2026 drei zentralen Herausforderungen stellen. Dieser Bericht skizziert die Prinzipien moderner Lösungsansätze, die über traditionelle Finanzierungsinstrumente hinausgehen, und zeigt, wie Unternehmen ihr Working Capital zu einem echten strategischen Vorteil ausbauen können. Er gibt einen Leitfaden an die Hand, um Liquidität nicht nur zu verwalten, sondern sie als Überlebensstrategie in unsicheren Zeiten aktiv zu gestalten.
Die drei zentralen Herausforderungen im modernen Treasury
Die Polykrise manifestiert sich im Treasury-Alltag in Form konkreter, oft miteinander verknüpfter Probleme. Wer heute die Liquidität und Stabilität seines Unternehmens sichern will, sieht sich mit drei fundamentalen Herausforderungen konfrontiert, für die klassische Ansätze keine befriedigenden Antworten mehr bieten.
Herausforderung 1: Druck auf die Lieferketten – Der Zielkonflikt
Die erste Herausforderung liegt im Herzen der Wertschöpfungskette. Jahrzehntelang galt die einseitige Verlängerung von Zahlungszielen (Days Payables Outstanding, DPO) als Königsdisziplin im Working Capital Management. Was aus reiner Finanzsicht logisch erscheint, erweist sich in der Polykrise aber als Herausforderung. Die Stabilität der Lieferkette ist heute kein "Nice-to-have" mehr, sondern eine geschäftskritische Priorität. Eine kontinuierliche Belieferung, um nicht "out of stock" zu sein, und die Sicherung von Innovationskraft aus dem Lieferantennetzwerk sind überlebenswichtig geworden.
Hier entsteht ein akuter Zielkonflikt: Das Bestreben des Einkaufs und der Treasury, durch lange Zahlungsziele die eigene Liquidität zu maximieren, setzt genau jene Lieferanten unter Druck, von deren Stabilität das eigene Geschäftsmodell abhängt. Insbesondere kleine und mittlere Partner, von deren Belieferung das einkaufende Unternehmen vielfach abhängig ist, können durch späte Zahlungen in existenzielle Schwierigkeiten geraten. Große Lieferanten bieten zudem oftmals keine längeren Zahlungsziele. Die Auswirkung ist eine schleichende Erosion der Lieferkettenresilienz. Die Qualität schwindet, die Beziehung zum Lieferanten wird belastet, die Verhandlungsbasis für die Zukunft geschwächt und im schlimmsten Fall drohen Produktionsausfälle. Ein modernes Treasury muss diesen Konflikt auflösen.
Herausforderung 2: Die Stärkung des Working Capitals
Der naheliegendste Weg zur Liquiditätsbeschaffung – der Griff zur klassischen Kreditlinie – wird zunehmend zu einer strategischen Sackgasse. Der Grund liegt in der Bilanz. Bankkredite werden als Finanzschuld ausgewiesen und blähen die Bilanzsumme auf. Das hat direkte, negative Konsequenzen: Wichtige Bilanzkennzahlen wie der Verschuldungsgrad oder die Eigenkapitalquote verschlechtern sich.
Die Auswirkung ist fatal: Ein Unternehmen, das stark auf Kreditfinanzierung setzt, signalisiert dem Markt eine wachsende Abhängigkeit von Fremdkapital. Dies kann das Rating gefährden und die Kapitalkosten für zukünftige Finanzierungsrunden in die Höhe treiben. Investoren, Analysten und die Finanzinstitute selbst bewerten eine immer höhere Verschuldung kritisch, was den Unternehmenswert unter Druck setzt. Der Treasurer steckt in einem Dilemma: Er benötigt Liquidität, aber der Weg über den Kredit dorthin schwächt die finanzielle Stabilität und das externe Bild des Unternehmens. Die Forderung nach bilanzschonenden, intelligenten Alternativen auch in der Lieferkette des Unternehmens wird lauter denn je.
Herausforderung 3: Technologische Hürden – Die Komplexität traditioneller SCF-Lösungen
Auf der Suche nach Lösungen für die ersten beiden Herausforderungen landen viele Unternehmen bei klassischen Supply Chain Finance (SCF)-Programmen, die oft als Reverse Factoring ausgestaltet sind. Die Idee klingt vielversprechend: Ein Finanzierungspartner bezahlt Rechnungen von Lieferanten frühzeitig, während das einkaufende Unternehmen ein verlängertes Zahlungsziel nutzt. In der Praxis scheitern diese Ansätze jedoch häufig an ihrer eigenen Komplexität.
Langwierige IT-Projekte zur Integration einer SCF-Plattform in das eigene ERP-System binden knappe Ressourcen für Monate. Parallel dazu müssen komplexe Vertragsverhandlungen mit Banken und Finanzierern geführt werden. Die größte Hürde ist jedoch das Onboarding der Lieferanten. Dieser Prozess ist oft mühsam, langwierig und erfordert von den Lieferanten die Bereitschaft, sich einer externen Plattform anzuschließen und Verträge mit einem Dritten einzugehen.
Die Auswirkung ist ernüchternd: Solche Programme sind starr und kaum skalierbar. Der strategisch wichtige "Long Tail" der kleineren und mittleren Lieferanten, deren Liquidität am stärksten unter Druck steht, wird nicht erreicht. Statt agiler Liquiditätssteuerung erhalten Treasurer ein schwerfälliges Instrument, das hohe interne Kosten verursacht und die strategischen Ziele nur unzureichend erfüllt.
Lösungsansätze 2026: Die Prinzipien für modernes Treasury-Management
Die Unzulänglichkeiten traditioneller Ansätze erfordern ein Umdenken, das auf drei zentralen Prinzipien beruht: Flexibilität, Unabhängigkeit und Einfachheit. Moderne Instrumente lösen die alten Zielkonflikte auf und geben dem Treasury die Handlungsfähigkeit zurück.
Die Lösung für das volatile Makroumfeld: Flexibilität
Die größte Herausforderung der Polykrise ist die Unsicherheit. Der Liquiditätsbedarf kann sich von einem Tag auf den anderen ändern. Ein starres Finanzierungskonstrukt, sei es eine feste Kreditlinie oder ein schwerfälliges SCF-Programm, ist hier fehl am Platz. Die Antwort auf Volatilität lautet Flexibilität.
Der Lösungsansatz liegt im Einsatz von Working-Capital-Instrumenten als flexibles "On-Demand"-Werkzeug. Das Treasury kann tagesaktuell und bedarfsgerecht entscheiden, für welche spezifischen Verbindlichkeiten oder Zahlungsströme es zusätzliche Liquidität generieren möchte. Dies geschieht durch die Nutzung von Working-Capital-Instrumenten, bei denen die Verlängerung des Zahlungsziels nicht als Finanzschuld bilanziert wird, da die ursprüngliche Verbindlichkeit gegenüber dem Lieferanten als operative Schuld bestehen bleibt und ein zusätzliches Zahlungsziel ohne den Nutzen einer Plattform gewährt wird.
Das Ergebnis ist ein Paradigmenwechsel: Das Working Capital wird von einer statischen Bilanzposition zu einem dynamischen Hebel. Das Treasury muss nicht präventiv teure Kreditlinien vorhalten, deren Verfügbarkeit im Krisenfall nicht einmal garantiert ist. Stattdessen wird Liquidität genau dann und exakt in dem Umfang aus dem eigenen operativen Geschäft beschafft, wie sie benötigt wird. Dies ist ein entscheidender Vorteil, um kurzfristig auf Marktunsicherheiten zu reagieren oder unvorhergesehene Liquiditätsengpässe abzufedern – agil, bilanzschonend und strategisch.
Die Lösung für das Working Capital-Dilemma: Unabhängigkeit
Der klassische Zielkonflikt zwischen der Optimierung eigener Kennzahlen und der Stabilität der Lieferantenbeziehung ist die zweite größte Herausforderung im WCM. Moderne Ansätze lösen dieses Dilemma durch ein einfaches, aber revolutionäres Prinzip: die Entkopplung.
Der Lösungsansatz besteht darin, die eigene Zahlungszielverlängerung vollständig von der Lieferantenbeziehung zu entkoppeln. Im Gegensatz zu traditionellem Reverse Factoring, das die aktive Teilnahme des Lieferanten erfordert, ermöglichen neue Instrumente dem Treasury, die Fälligkeit einer Verbindlichkeit für sich intern zu verlängern, während ein Zahlungsdienstleister sicherstellt, dass der Lieferant pünktlich zum ursprünglichen Fälligkeitsdatum bezahlt wird. Der Lieferant wird nicht eingebunden, muss keine Verträge unterzeichnen und sich auf keiner Plattform registrieren. Sein Cashflow bleibt unangetastet und verlässlich.
Das Ergebnis ist die Auflösung des Zielkonflikts. Das Treasury gewinnt wertvolle Liquidität, ohne die Lieferantenbeziehung zu belasten oder komplexe Neuverhandlungen über Zahlungsbedingungen führen zu müssen. Die Stabilität der Lieferkette wird aktiv geschützt, während die eigenen Finanzziele erreicht werden. Diese Unabhängigkeit gibt Unternehmen die Freiheit, ihr Working Capital strategisch zu steuern, ohne negative externe Effekte zu erzeugen.
Die Lösung für technologische Hürden: Einfachheit
In einer Welt, in der IT-Ressourcen chronisch knapp sind und die Agilität über den Markterfolg entscheidet, ist Komplexität der Feind des Fortschritts. Die Antwort auf die technologischen Hürden traditioneller SCF-Lösungen ist Einfachheit.
Der Lösungsansatz liegt in der bewussten Entscheidung für Instrumente, die ohne IT-Integration und vor allem ohne jegliches Lieferanten-Onboarding auskommen. Die Implementierung bindet keine internen IT-Ressourcen. Die gesamte Interaktion findet ausschließlich zwischen dem Unternehmen und dem Zahlungsinstitut statt. Der Aufwand für die Rechtsabteilung, die IT und den Einkauf wird auf ein absolutes Minimum reduziert.
Das Ergebnis ist eine beispiellose Geschwindigkeit. Das Treasury kann durch ein neues, leistungsstarkes WCM-Instrument innerhalb von Tagen statt Monaten nutzen. Die Handlungsfähigkeit ist sofort gegeben und ist nicht mehr nur Großkonzernen mit großen IT-Budgets vorbehalten, sondern wird für jedes Unternehmen zugänglich, das agil und ressourcenschonend seine Liquidität steuern will. Das Treasury wird zum proaktiven Gestalter der Unternehmensfinanzen.
Fazit und Ausblick: Das Treasury als strategischer Architekt der finanziellen Leistungsfähigkeit
Die Spielregeln für Finanzabteilungen haben sich fundamental verändert. Die Bewältigung von Liquiditätsengpässen und die Optimierung des Working Capital sind keine rein operativen Aufgaben mehr, sondern Kern einer jeden unternehmerischen Überlebensstrategie. Wie dieser Beitrag gezeigt hat, stoßen traditionelle Werkzeuge wie Kreditlinien und klassische SCF-Programme an ihre Grenzen. Sie sind zu starr, zu komplex und schaffen neue Probleme, anstatt die alten zu lösen.
Die Zukunft gehört einem Treasury, das auf den Prinzipien der Flexibilität, Unabhängigkeit und Einfachheit aufbaut.
- Flexibilität erlaubt es, auf die Volatilität der Märkte "on demand" zu reagieren und Liquidität bilanzschonend dann zu heben, wenn sie gebraucht wird.
- Unabhängigkeit löst den schädlichen Zielkonflikt zwischen eigener Optimierung und der Stabilität der Lieferkette auf, indem sie die Interessen beider Parteien entkoppelt.
- Einfachheit in der Implementierung und Anwendung stellt sicher, dass das Treasury sofort handlungsfähig ist, ohne von internen IT-Ressourcen oder der Kooperation Dritter abhängig zu sein.
Ein Treasury, das diese Prinzipien verinnerlicht und die passenden Instrumente wählt, wandelt sich vom reinen Verwalter von Finanzströmen zum strategischen Architekten der unternehmerischen Resilienz. Es sichert nicht nur das Überleben im „New Normal“, sondern schafft die finanzielle Agilität und Leistungsfähigkeit, um die andauernden Krisen zu bewältigen und Marktchancen aktiv zu nutzen. Die Werkzeuge dafür sind heute verfügbar – sie sind schlanker, intelligenter und leistungsfähiger. Es liegt an den Entscheider:innen, sie zu ergreifen und das Jahr 2026 aktiv zu gestalten.
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Leonie Bauer
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