Erfolgreiche Digitalisierungs-Strategie im Mittelstand: Evolution oder Revolution?

cflox Digitalization Insight, 10/2019

Technologische Entwicklungen verändern nicht nur unser Privatleben, sondern ebenso die globale Wirtschaft. Es überrascht daher nicht, dass der Begriff „Digitalisierung“ auch bei Unternehmen in aller Munde ist.

Umfragen zeigen, dass die Nutzung von Digitalisierung als eine der aktuell größten Herausforderungen in mittelständischen Betrieben angesehen wird. Viele Unternehmen gehen das Thema aktiv an und führen Digitalisierungsmaßnahmen durch. Doch welche konkreten Ziele werden verfolgt und wie wird dabei vorgegangen? Liegt der Fokus darauf, Aktuelles zu modernisieren, oder, Innovationen einzuführen? Wir haben mit ausgewählten Experten gesprochen.

„Der Mittelstand steckt noch in den Anfängen der Digitalisierung“, berichtet Lars Ketelsen, Direktor IT & Digitalisierung bei der Fischmanufaktur Deutsche See. Das Unternehmen aus Bremerhaven arbeitet bereits intensiv an der eigenen Digitalisierung und stützt sich dabei sowohl auf evolutionäre als auch auf revolutionäre Maßnahmen. „Basis schaffen und dann vorangehen“, bringt Ketelsen den Ansatz auf den Punkt. In den letzten Jahren modernisierte das Unternehmen zunächst den Status quo. Hierfür wurde das IT-Basissystem, das beispielsweise das Stammdatenmanagement innerhalb des Unternehmens beinhaltet, ausgetauscht. Durch die Einführung einer web- und cloudfähigen Lösung ist nun die Vernetzung und Zusammenarbeit innerhalb des Unternehmens deutlich erleichtert. Gleichzeitig legt diese optimierte Basis den Grundstein für die Einführung revolutionärer Digitalisierungsmaßnahmen – so können beispielsweise neue, erweiterte Funktionen für das Customer-Relationship-Management zukünftig einfacher umgesetzt werden. Auch Joachim Geiger, Geschäftsführer der TRILUX Vertrieb GmbH, zeigt beide Ansätze in der Digitalisierungs-Strategie des Anbieters für Lichtlösungen auf: „Die digitale Transformation ist die logische Weiterführung unserer Strategie ‚Simplify your light‘. Dabei erreicht die Digitalisierung jeden einzelnen Bereich unseres Unternehmens. Zusammenarbeit wird vereinfacht, Routineabläufe werden smart, die Geschwindigkeit wird erhöht. All das sind Effekte, die unsere Kundennähe unterstützen und den Kunden noch mehr in den Fokus rücken.“ Zusätzlich zur Optimierung der Basis sieht Geiger eine weitere Chance in neuen Geschäftsmodellen und intelligenten Services. Trilux wandelt sich daher bewusst vom Leuchtenhersteller zum Lösungsanbieter und bietet beispielsweise Automatisierung sowie Monitoring von Licht- und Beleuchtungsanlagen an. „Unser Anspruch ist es, in einem extrem dynamischen und stetig wachsenden Markt nicht nur mit-, sondern vorzudenken und neue Maßstäbe zu setzen. Dabei bieten wir unseren Kunden Lösungen, die auf die vernetzte Zukunft vorbereitet sind“, beschreibt Geiger weiter. Das Unternehmen hat bereits vor einigen Jahren Innovationsprojekte wie die Beleuchtung für ein intelligentes, nachhaltiges Vertriebszentrum als Full-Service-Lösung erfolgreich abgeschlossen. Das Streben nach einer zukunftsorientierten Entwicklung bestätigt auch Lars Ketelsen: „Ziel der Digitalisierung ist für das Unternehmen weiterzukommen – Digitalisierung sollte kein Selbstzweck sein.“ Um einen nachhaltigen Erfolg der Maßnahmen sicherzustellen, geht die Deutsche See daher bei der Einführung Schritt für Schritt vor. Entsprechend ist Ketelsen mit dem aktuellen Umsetzungstempo zufrieden und betont die Wichtigkeit, Unternehmen und Mitarbeiter nicht zu überfordern: „Umsichtiges Change-Management spielt eine große Rolle. Es ist enorm wichtig, dass die Mitarbeiter die Veränderungen aktiv mitgestalten und den Mehrwert erleben können – dann machen alle toll mit“. Die elementare Rolle der Mitarbeiter sieht auch Joachim Geiger: „Die erfolgreiche digitale Transformation ist für Trilux auch ein Wandel in der Unternehmenskultur. Wir schaffen ein digitales Mindset. Diese Entwicklung voranzutreiben, erfordert besonderen Einsatz bei allen Mitarbeitern.“

Bei beiden Unternehmen zeigt sich die Strategie, zunächst die Basis zu modernisieren, um darauf aufbauend revolutionäre Digitalisierungsmaßnahmen durchzuführen. Auch betonen sowohl Lars Ketelsen als auch Joachim Geiger die Wichtigkeit der aktiven Beteiligung der Mitarbeiter an allen relevanten Projekten sowie die kontinuierliche Kommunikation bezüglich der Veränderungen. Unterstützend bereiten die Unternehmen ihre Mitarbeiter mit digitalen Ausbildungs- und Qualifizierungsmaßnahmen auf die Arbeitswelt 4.0 vor.

Wie gestaltet sich im Vergleich dazu die Strategie in Konzernen? Wie gehen diese das Thema an?

Oberflächlich dominiert häufig der Eindruck von aufgeblasenen Digitalisierungsprojekten, deren Inhalte und Ziele schwer greifbar scheinen. Es gibt aber auch andere Vorgehensweisen – wie beim österreichischen Baukonzern Porr beispielsweise. Dieser geht bei der Digitalisierung des Betriebs ebenfalls sukzessive vor und schafft zunächst die Grundlagen für innovative Digitalisierungsmaßnahmen. „Es ist wichtig, konkrete Pilotprojekte und Use Cases aufzusetzen und diese dann step by step umzusetzen“, erklärt uns Josef Kurz, Abteilungsleiter der Business Excellence/Digital Unit bei Porr. So wurden bereits Kernprozesse standardisiert und optimiert sowie die Systemlandschaft auf einige wenige Kernsysteme reduziert. Ein anschauliches Beispiel bietet die Tochtergesellschaft Porr Equipment Services. Diese verwaltet mehr als 60 000 Geräte sowie Fahrzeuge und produzierte jährlich circa 180 000 Papierbelege. Nach erfolgreicher Einführung zahlreicher Digitalisierungsmaßnahmen sind nun unter anderem Lieferscheine, Übergabeprotokolle, Werkstattaufträge, Fahrzeugpapiere und Handbücher der Baugeräte digital verfügbar. Darüber hinaus setzt Porr seit 2011 intensiv auf Building Information Modeling – eine Methode, bei der alle relevanten Bauwerksdaten digital modelliert, kombiniert und erfasst werden. Durch die Vorgehensweise erhöht sich die Transparenz über alle Leistungen hinweg und bei allen Beteiligten. Zusätzlich werden Testumgebungen für den Einsatz von Drohnen, Virtual Reality und Augmented Reality auf Baustellen betrieben. „Standardisierung und Automatisierung durch Digitalisierung sowie der Einsatz künstlicher Intelligenz bieten enorme Potenziale und revolutionieren die komplette Wertschöpfungskette im Bauwesen. Auch die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, Bauherren, Endkundinnen und Endkunden sowie Kommunen profitieren davon. Bauvorhaben lassen sich schneller realisieren, Gesamtkosten können gesenkt, Qualitätskontrollen maximiert und Risiken minimiert werden.“ Das Unternehmen agiert dabei nicht allein und setzt auf Partnerschaften, um den Herausforderungen der Digitalisierung erfolgreich zu begegnen – ab 2020 kooperiert Porr beispielsweise für ein Forschungsprojekt mit der Universität Aachen, um gemeinsam auszuloten, wie Roboter auf Baustellen eingesetzt werden können. Kurz ist überzeugt: „Digitalisierung bedeutet Vernetzung, Vernetzung, Vernetzung.“ Auch innerhalb des Unternehmens liegt der Fokus auf Zusammenarbeit. Für die Business Excellence/Digital Unit sind die Mitarbeiter operativer Einheiten ihre Kunden, daher ist es dem Abteilungsleiter sehr wichtig, deren Know-how und Feedback früh in die Veränderungen einzubinden: „Wenn das, was wir tun, entsprechenden Nutzen und Qualität hat, dann sind die Mitarbeiter vorne mit dabei.“ Für die Baubranche hat die Digitalisierung außerdem einen weiteren besonderen Mehrwert: Aufgrund von Personalknappheit bildet sie den Schlüssel, um das aktuelle Auftragslevel halten zu können. Für Porr spielen daher bei der Umsetzung der Digitalisierungsmaßnahmen Arbeitsentlastung und Effizienzsteigerung eine große Rolle.

Die Vernetzung der Wertschöpfungskette durch digitale Plattformen und Schnittstellen kann die Effizienz in Kommunikation und Abwicklung vom Einkauf über die Produktion bis in den Verkauf steigern, Kundenzufriedenheit erhöhen und neues Wachstumspotenzial in diversen Unternehmensbereichen schaffen. „Digitalisieren funktioniert nur gemeinsam – die ganze Supply Chain entlang und mit starken Partnern“, bestätigt Josef Kurz. Wer sich auf neue Anforderungen einstellt und diese proaktiv sowie innovativ nutzt, kann Geschäftspartner, Kunden und Mitarbeiter durch zukunftsorientiertes Denken und Handeln überzeugen sowie langfristig binden.

Ob Mittelstand oder Konzern – eine Strategie, die evolutionäre und revolutionäre Ansätze gleichermaßen berücksichtigt, scheint ein vielversprechender Anfang zu sein.

 

Quellen: IfM Bonn: IfM-Materialien Nr. 260; KfW-Digitalisierungsbericht Mittelstand 2018

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